Freitag, 2. Mai 2008

Interview mit AWZ-Chefautor Manuel Meimberg - Teil 1 -

Ich hatte Gelegenheit, einem der beiden Chefautoren von "Alles was zählt" ein paar Fragen zu stellen. Hier ist der erste Teil der Antworten:

Frage: Wie genau ist ein Charakter festgelegt? Wenn so eine Serie startet, hat man Grundzüge, und in vielen Soaps ist eine Rolle drauf festgelegt, die ist mehr oder minder statisch. Das ist bei AWZ anders, da sind Entwicklungspotentiale und immer wieder unvermutete Seiten und Facetten (Axel!!! Immer wieder für eine Überraschung gut), und doch bleibt der Charakter in sich schlüssig. Entwickelt sich das langsam, durch die Story, durch Gewichtung - Nebencast kommt gut an und bekommt mehr Screenzeit -, durch Beobachtung: wie setzt der Darsteller die Vorgaben um, was kann man daraus noch machen, oder tatsächlich auch aufgrund Zuschauerreaktionen, hat das irgendeinen Einfluß?

MM: Das allerwichtigste ist, am Anfang ein stimmmiges Ensemble zu schaffen. Das bedeutet: Die Zusammenstellung der Figuren, das "Netzwerk" in dem sie zusammen wirken, muss funktionieren. Heißt: Stärken, Schwächen positive und Negative Charaktereigenschaften müssen gut aufeinander abgestimmt sein und sollten sich möglichst nicht "doppeln". Eine Figur wie Simone Steinkamp zum Beispiel, die sich nach Außen hin eine Art Panzer angelegt hat und nur sehr selten Menschen wirklich an sich heran lässt. Die nur selten echte Emotionen zeigt. Wenn sie dies aber tut, dann sind das starke Szenen, weil man plötzlich den Menschen Simone Steinkamp erkennt. So eine Figur sollte es natürlich nur einmal geben, so bleibt sie unverwechselbar und etwas besonderes. Am Anfang der Entwicklung einer Serie achtet man also darauf, die Figuren mit Besonderheiten auszustatten, die keine andere Figur hat. Man versucht, für jede Figur eine Art Archetyp zu finden. Von da an - wenn man ein stimmiges Ensemble gebaut hat - besteht unsere Aufgabe darin, die Figuren nicht zu verraten, ihnen also treu zu bleiben. Und auf der anderen Seite natürlich, immer neue Seiten der Figur AUFZUDECKEN, nicht neu zu erfinden. Das ist der feine aber wichtige Unterschied. Wenn Simone Steinkamp also beispielsweise herausfindet, dass ihr totgeglaubter Sohn noch lebt, dann ist sie plötzlich mit einem Dilemma konfrontiert, dem sie sich nie vorher stellen mussste. Sprich: Wir bleiben der Figur treu, denn der Zuschauer weiß inzwischen, dass Simone Probleme hat, Gefühle zu zeigen, aber gleichzeitig "zwingen" wir die Figur dazu, sich weiter zu entwickeln. Das ist gutes Storytelling. Gerade bei AWZ legen wir viel Wert darauf, auch die Stärken der Schauspieler zu erkennen und damit zu arbeiten. Wir Autoren sprechen viel mit den Schauspielern über die Rollen, wir "befruchten" uns also gegenseitig. Und natürlich beobachten wir auch immer die Reaktionen der Zuschauer. Hier muss man allerdings aufpassen, denn wenn zum Beispiel die Zuschauer immer wieder sagen "Ich hasse Jenny" o. ä. , dann ist das kein Zeichen dafür, dass wir was falsch machen, sondern genau das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen, dass der Zuschauer Jenny hasst. Sie ist nun mal in den Grundzügen angelegt als unsympathische Figur. Auch hier gilt natürlich: Wenn wir es schaffen, dass der Zuschauer dann plötzlich Mitleid mit ihr hat, weil wir sie ganz unten zeigen, dann gewinnt die Figur wieder an Profil und wird komplexer. Das Wichtigste ist, dass eine Figur nie langweilig wird, aber trotzdem immer die Figur bleibt, die sie ist. Genau wie im richtigen Leben also.

Frage: AWZ ist immer ein Balanceakt zwischen Drama, Lovestories und ironischer Komödie mit fließenden Grenzen. Sehr verwirrend für den Zuschauer manchmal; mir scheint, das war ursprünglich stärker getrennt: Die Steinkamps und Axel fast schon parodistisch "überspielt", später der unwahrscheinliche Maximilian; die anderen dagegen hatten zwar auch komische Szenen, waren aber vom Grundsatz her "normale" Soapcharaktere mit Freud und Leid. Gibt es da ein durchgehendes Konzept oder wird das von Fall zu Fall mehr in der einen oder anderen Richtung geschrieben?

MM: Interessante Frage. Also. Uns war natürlich ganz am Anfang, als wir AWZ entwickelt haben, klar, dass wir anders sein müssen, als andere Serien. Die Zeit, als AWZ gestartet ist, war eine schwierige. Wir mussten gegen VIB 2 antreten, der Markt an täglichen Formaten galt in der Branche allgemein hin als gesättigt. Anders gesagt: Wenige haben uns zugetraut, dass wir es schaffen, noch eine Soap zu etablieren. Wir mussten also anders sein. Und dafür musssten wir an allen Ecken ansetzen: Andere Rollen, interessantere Charaktere. Und eine andere Sprache. Knackigere Dialoge. Wir wollten versuchen, die Soap unverwechselbar zu machen, und wenn man heutzutage Dinge hört oder liest wie: Die haben da immer so lustige Sprüche, oder: das sind so schräge Charaktere - dann haben wir vermutlich nicht alles falsch gemacht. Die Gefahr hier ist natürlich, dass man zu viel Comedy macht und dabei die Emotion auf der Strecke bleibt. Denn das ist bei einer Serie immer noch das Wichtigste: Die Emotion. Serie ist Drama, Drama ist Konflikt. Und auch hier gilt: Wir schauen immer nach den Stärken der Schauspieler. Ein Silvan zum Beispiel hat natürlich durch sein Spiel ein ganz besonderes Comedy-Potenzial, das wir natürlich gerne benutzen.

Frage: Die Produktion hat sicher mit Protesten wegen der Trennung von Roman und Deniz gerechnet, genau wie bei Julian/Diana und Julians Tod; war auch die schwulenpolitische Komponente vorhersehbar und einkalkuliert? Wie geht man damit um?

MM: Na klar war das einkalkuliert. Das war sogar gewollt. Es gibt nichts Besseres, als wenn am nächsten Tag viele Menschen in Deutschland über die Serie sprechen und diskutieren. Gerade bei Roman/Deniz gab es natürlich viele Diskussionen (die bis heute anhalten). Und das ist gut. Weil das bedeutet, dass die Zuschauer Anteil an der Geschichte nehmen. Geschichten, über die nicht diskutiert wird, sind schwache Geschichten. :-)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Dankeschön! Ich könnte stundenlang über alle diese Hintergründe lesen, ohne mich ein einziges Mal zu langweilen!
Auf der anderen Seite muss es auch für einen Autor interessant sein, ob die einzelnen Rollen von den Zuschauern tatsächlich so erkannt werden wie sie laut Profil und Drehbuch angelegt sind. Als Rückmeldung ist das bestimmt von großem Wert!
Ich denke, dass wir in den allermeisten Fällen auch richtig liegen, oder? Wie werden wir als Fans da wohl eingeschätzt? Das wüsste ich ja doch zu gerne....insbesondere natürlich alle die DeRo – Theorien, Interpretationen und Mutmaßungen über Monate....haben sie die mehr oder weniger versteckten Hinweise richtig ausgelegt?

Und was die gegenseitige Befruchtung zwischen Autor und Schauspieler betrifft, ist es sicher schwierig, kontinuierlich weiterzuarbeiten, wenn wie im Falle von Nadja die Schauspielerin plötzlich ausgetauscht werden muss.
Mir persönlich fällt es zum Beispiel irgendwie schwer, Nadja wieder zu erkennen. Die Tatsache, dass die Rolle so intensiv auf Regine zugeschnitten war, wäre dafür eine Erklärung.